Jahr: 2014
Autor/in: Sandra Wolf
Titel: Wortliebe
Mehr dazu: literatur-reports/238-2015-04-07-literaturpreis-2014

Auf einem dunkelbraunen, antik wirkenden Tisch stand ein einziger Gegenstand. Rundherum schmückten gerahmte Bilder die Wände, ein Sessel stand vor dem dunkelbraunen Tisch und Lampen erhellten das Zimmer. Aber nichts war wichtiger als dieses Objekt, denn es war imstande, Sterbendes zum Leben zu erwecken. Bei den Sterbenden handelte es sich jedoch nicht um Menschen, sondern um Worte. Worte, die keiner mehr benützen wollte und andere, die schon lange nicht mehr ausgesprochen worden waren.
Der Gegenstand war, wie die Wörter, ebenfalls vom Aussterben bedroht. Nur einem einzigen Mann war es zu verdanken, dass die Schreibmaschine noch nicht gegen einen modernen Laptop eingetauscht worden war, und demselben Mann war es zu verdanken, dass er Worte so sehr liebte, dass er sie wieder zum Leben erwecken wollte.
Und so setzte er sich an die mehr als hundert Jahre alte, schwarze Schreibmaschine und begann zu schreiben. Tagelang recherchierte der Schriftsteller, um Worte zu finden, die es wert waren, gerettet zu werden. Er baute Sätze mit ihnen, und diese Sätze formten langsam eine Geschichte. Sie war nur kurz, aber er wusste, das würde den Lesern egal sein, denn wie er waren auch sie Liebhaber von Worten.

An einem sonnigen Tag im Brachmonat hatte Jens nichts anderes zu tun, als sich an einem so schönen Tag wie heute den Lenz zu machen. Am Morgen war er wie jeden Tag eine Stunde durch die Straßen der Großstadt im Dauerlauf gerannt um seinen spirligen Körper zu stählen. Mit dem Behuf einfach seine Probleme für eine Zeit zu vergessen, streckte er sich auf der, mit einer seltsamen Verbrämung umrahmten, Decke aus und spintisierte über seine Zukunft nach. Nur allzu gerne hätte er die anderen jungen Männer, die in einiger Ferne Frisbee spielten, abgekupfert. Aber er würde nie wie sie sein. Selbst sieben Stunden Dauerlauf pro Woche würden ihn nie in einen stattlichen Mann verwandeln. Schon als kleines Kind wurde er wegen seiner abstehenden Ohren gehänselt. Man deklarierte ihn schnell zum Hanswurst. Jens machte nie ein Hehl daraus, dass es schönere Männer als ihn gab. Selbst die meisten Frauen sahen oft hoffärtig auf ihn herab. Wie gerne würde er eine Maid bezirzen. Nur zu gerne würde er sie den ganzen Tag herzen und so seinem Herzeleid ein Ende bereiten. Zu lange schon war er nun schon alleine, nachdem ihn Elisa getäuscht hatte. Sie war so ein Rabenaas. Wie hatte sie sich nur mit diesem anderen Mann erquicken können? Noch dazu in deren eigenem Gemach.
Eigentlich hatte Jens nur zwei Probleme, die ihm das Leben schwer machten. Er wollte nicht zu einem Hagestolz werden, und es war bereits lange saumselig, mit seinem Chef Fraktur zu reden, anstatt immer vor ihm zu katzbuckeln und Gallimathias zu reden. Es war an der Zeit die Meriten für seine Arbeit zu verlangen. Er wollte nicht länger das Faktotum sein. Er hatte viel zu viel im Tornister, um ein einfacher Büttel zu bleiben. Er wollte hoch hinaus. Gleich am Montag würde er die erste Gelegenheit beim Schopf packen, und dann würde er sich nie wieder schurigeln lassen müssen.

Alldieweil brannte die Sonne bacchantisch auf ihn herab. Über ihn hingen wenige Apfelwolken an dem sonst klaren Firmament. Jens bächelte sich noch eine Weile am Anger in der Sonne, bevor er sich einen absonnigeren Platz suchte und sein Buch auspackte. Er liebte es, sein freies Wochenende hier zu verbringen. Der einzige Nachteil war, es gab keinen Abort, und nie und nimmer würde er sich wie so manch anderer hinter einem Baum erleichtern.
In wenigen Metern Entfernung frönte eine Familie mondäner Musik, die aus einem mitgebrachten Gerät floss. Es war nichts als nervtötendes Gedudel. Jens wusste, er musste seine Contenance bewahren, schließlich war dies ein öffentlicher Anger.
Darob nahm er ein daumendick mit Butter beschmiertes Brot aus seinem Ranzen und trank dazu Wasser aus einer gläsernen Flasche. Der frische Trunk war ein Labsal in der Hitze. Während er an seinem absonnigen Plätzchen sein Gabelfrühstück schlampampte, wurde es auf einmal zappenduster. Geflissentlich packten alle rund um ihn herum ihre Habseligkeiten ein und liefen weidlich schnell davon. Die meisten ließen ihre Makulatur liegen. Jens aber packte alle seine Petitessen ein und sputete sich dann unter den nächsten Baum.
Kurz schüttelte er sein Haar aus und blickte dann in das adretteste Antlitz, das er je gesehen hatte. Jens merkte sofort, dass es sich bei ihr um keine Thusnelda handelte. Obgleich das Kaiserwetter umgeschlagen hatte, war er fidel und voller Mut. Auch wenn er mesmerisiert war von ihrem Anblick, wollte er der Gunst der Stunde frommen und dieses famose Weib ansprechen.
Sie aber sah entsetzt zu ihm hinüber. Er sah wahrlich ziemlich halbschürig aus, hatte er doch sein Leiberl und seine Nietenhose mit Butter vollgekütert. Hurtig wischte er darüber, um das Schlamassel notdürftig zu entfernen. Als er beschämt und hochrot über sein Gesicht strich, musste er mit Entsetzen feststellen, dass sein Kinn voller Stupfel war, hatte er sich doch heute Früh vergessen zu rasieren.
Julia, wie die schöne Maid hieß, konnte aber seinem Charme nicht lange widerstehen, denn obgleich seiner halbschürigen Erscheinung raubte ihr Jens den Odem, und so gingen sie, als der Regen sich retiriert hatte, von hinnen.
Jens war es sybillinisch, wie Julia ihn erkiesen hatte können, aber bei jedem Schäferstündchen, welches in den Monaten darauf in seinem Losament stattfand, wusste er nur eins - er war lange genug vom Leben gebeutelt worden, und es war von langer Hand Zeit für eine durable Beziehung. Freilich wussten weder er noch sie, ob diese Liebelei von Dauer sein würde, doch genossen sie schlicht die Zweisamkeit. Mögen sie noch lange leben und kein Jota von dieser Liebe abweichen.

Zufrieden tippte der Schriftsteller das letzte Wort und ging dann dazu über, seine Geschichte mit allen zu teilen und so nahm er das Manuskript und veröffentlichte es. Als er damit fertig war, widmete er sich zwei neuen Aufgaben. Er wollte noch mehr Wörter retten, und danach wollte er selbst neue Worte erfinden.