In der Kälte des Morgens klopft sie leise an mein Fenster, die Blütenpracht in Frost gezeichnet. In weißer, durchscheinender Manier ranken sich Eisgeäst und Wunderblumen an dem Glas empor. Der Atem der eisigen Nacht hat viele Eisblumen geformt und ihnen Leben eingehaucht. Die Kristalle schimmern in der Herrlichkeit der Regenbogenfarben und spiegeln das Klirren der Kälte wider. Die Gebilde und Formen haben die Minusgrade gemeißelt und laden zum Träumen ein. Die kristallinen Blütenblättchen verschmelzen ineinander und baden im Meer der Kälte. In der warmen Stube erspäht man das Leuchten in den Kinderaugen, wenn sie die Eisblumen betrachten, wie sie sich an das Fenster schmiegen. Zart, filigran und zerbrechlich räkeln sich die Frostblumen in der Morgensonne. Man will sie behutsam pflücken und beschützen und den Schatten einfangen, damit sie ewig leben und erblühen können. Jedoch, die Sonne schmilzt den Eisblütentraum dahin. Das Glitzern des gefrorenen Eiskunstwerkes verzaubert sich in ihrer Gestalt. Die Dornen der Eisrose weinen in der Sonnenkraft. So lieblich spielt der Blütenglanz, auf Eis gebettet. Die Eissilhouetten sind zerbrochen und zerfließen im Angesicht der traurigen Kinderaugen zu Wasser. Träne für Träne perlt das gefrorene Gemälde in einen Hauch von Nichts. Die Tröpfchen dringen in die Erde ein und versiegen im Dunkel. Die Sonne auserwählt sich den letzten Eiskristall, verformt ihn in Eisblumenstaub und streut ihn in den Himmel. Die Eisblumen haben für den kurzen Augenblick Frost gelebt und sind im Antlitz der Sonnenstrahlen gestorben!
- Jahr: 2018
- Autor/in: Ursula Anna Polgar
- Titel: Eisblumen
- Mehr dazu: literatur-reports/449-2018-12-literaturpreis